In den 1950er Jahren war unter den Schülern das Federnspiel sehr populär. Alles, was man brauchte, waren ein paar Schreibfedern, die jedermann besass, da man damals noch mit einem Federhalter und mit richtiger Tinte aus einem «Gütterli» schrieb. Die Lehrer sahen das zwar nicht so gern, weil oft mit neuen Federn gespielt wurde. Das Spiel war sehr einfach. Die Spieler markierten mit Kreide oder einem Stein eine Linie, welche drei Schritte von einem Trottoirrand entfernt war. Dann warf man eine Feder so nah wie möglich an den Trottoirrand. Danach wurde die Rangfolge der Spieler bestimmt. Wer dem Randstein am nächsten war, war der erste und durfte alle Federn auflesen und in den Händen schütteln und zu Boden werfen. Dabei musste er Bauch/Gruusch (Buuch/Gruusch) oder Rücken/Bock (Rugge/Bock) sagen.
Sagte man Rücken, so gehörten dem Spieler alle Federn, die mit dem Rücken nach oben schauten. Sagte man Bauch, so durfte man alle Federn behalten, die mit dem Bauch nach oben schauten. Blieben Federn übrig, so kam der zweite dran usw. Gute Spieler hatten ausgebeulte Hosensäcke voller Federn. Schlechtere Spieler kauften für ihr karges Taschengeld beim Lehrer oder beim Klassenchef ein Päckli Federn. Drei Federn kosteten 5 Rappen. Billiger war es, sie bei den guten Spielern zu kaufen. So verdienten sie sich ein Taschengeld, indem sie ihre Ã?berbestände wieder verkauften. Besonders schlaue Schüler spielten grundsätzlich nur gegen Anfänger oder solche, die bereits als schwach erkannt waren. Verpönt war es, ohne Ankündigung mit defekten Federn zu spielen. Geschah so etwas in Anwesenheit eines «Profis», dann setzte es etwas. Die Federn, bei denen die Spitzen abgebrochen waren, nannte man «Tüüfeli». Normalerweise wurde vorher vereinbart, ob mit Tüüfeli (und andern beschädigten Federn) gespielt werden durfte oder nicht.
Manchmal tauchte auch ein Spieler mit goldfarbenen Federn auf. Dann wurde besonders hart gekämpft, denn solche Federn waren sehr begehrt. Wem es gelang, eine zu erobern, der behielt sie als Rarität auf dem Nachttischli oder in einer Schale auf dem Bettumbau. Goldene Federn wurden von Profis verwendet, welche damit weitere Spieler anzulocken versuchten.
Das Federnspiel wurde in verschiedenen Varianten gespielt, wobei es von Schulhaus zu Schulhaus abweichende Regeln gab. Die hier beschriebene Spielart galt für 1954 bis 1956 für die Schüler des Schulhauses Kolbenacker. Das Federnspiel kam aus der Mode, weil seit den 1960er Jahren der Kugelschreiber immer mehr aufkam und schliesslich auch in der Schule zugelassen wurden. Das war das Ende des Federnspiels, denn niemand wollte das Spiel nun mit Kugelschreiber-Minen weiterführen.
Weitere Varianten des Federnspiels waren:
Gmischt: Bei einer geraden Federnanzahl konnte man auch «gmischt» rufen; warf man zum Beispiel vier Federn und sagte «gmischt» erhielt man alle, wenn zwei «Gruusch» und zwei «Rücken» lagen.
Hämpfele: In der Regel warf man mit nur einer Feder an die Wand; je nach Abmachung konnte man aber auch «hämpfele», d.h. eine beliebige Anzahl Federn werfen, in der Hoffnung, eine werde den Gegner schlagen.
Stecker: Blieb eine Feder im Asphalt/Untergrund stecken, galt die in jedem Fall als zuvorderst; das kam aber kaum je vor.
Ständer: Lehnte eine Feder schräg an den Randstein, war die höchstens so zu schlagen, indem man sie z.B. mit «Hämpfele» zu Fall brachte.
Marcel Fisler schreibt zum Federnspiel seine Sicht der Dinge:
\"In der Schule musste zu jener Zeit mit Feder und Tinte geschrieben werden. Füllfederhalter waren nicht erlaubt und Kugelschreiber gänzlich des Teufels. Das Tintenfass war im Pult, am oberen Rand, eingelassen. Ein Metallschieber diente zum Ã?ffnen und Schliessen des Fachs. Mit diesen Einrichtungen, Feder und Tintenfass, stand ich auf Kriegsfuss. Es bleibt mir bis heute ein Rätsel, wie die Mädchen die Finger immer schön sauber halten konnten und nie Tintenkleckse auf den Kleidern oder in den Schulheften hatten. Meine Finger waren dauernd blau, die Hefte voll von Tolggen, die meisten vom Lehrer mit Rotstift eingekreist, und Hemd und Hose bekamen regelmässig ihren Teil ab.
Sobald die Federn als Schreibgerät ausgedient hatten, bekamen sie auch für mich einen höheren Sinn, gaben sie doch ein vorzügliches und begehrtes Spielgerät ab. Jeder Junge hatte seine Sammlung mit einigen kostbaren und sorgfältig gehüteten, seltenen Exemplaren; besonders begehrt waren jene, die zum Zeichnen mit Tusche benutzt wurden. Das Spiel bestand darin, eine Feder gefühlvoll aus einem Abstand von etwa drei Schritt gegen eine Wand zu werfen mit dem Ziel, die Spitze möglichst nahe an die Wand zu bringen. Unschlagbar war ein sogenannter Ständer, bei dem die Feder im Winkel zwischen Boden und Wand aufrecht stehen blieb, mit der Spitze nach oben. Wer dieses Kunststück fertig brachte oder wer mit der Spitze seiner Feder am nächsten zur Wand lag, durfte alle Federn nehmen, sie kräftig schütteln, werfen und dabei Â?GruschÂ? oder Â?BockÂ? rufen. Dann durfte er alle jene behalten, die so gefallen waren, wie er gewünscht hatte, entweder auf den Rücken, Bauch nach oben (Grusch) oder auf den Bauch, Rücken nach oben (Bock). Die übrig gebliebenen Federn durfte der Nächstbeste schütteln und werfen usw., bis keine mehr übrig blieb. Ein geschickter Werfer konnte so seine Sammlung ständig vergrössern. Â?TüüfeliÂ?, defekte Federn mit abgebrochener oder verbogener Spitze, waren verpönt.\"
In schriftlichen Unterlagen zur Einweihung des Schulhauses Buhn am 30.4.1899 findet sich der Hinweis auf ein Federnspiel. Welcher Art dieses Spiel war, ist noch offen, doch könnte es sein, dass damit genau dieses hier beschriebene Federnspiel gemeint war. Das hiesse dann, dass es viel älter ist und nicht aus den 1950er Jahren stammt.
Quellen: - OGS-eigene - Ernst Ingold - Robert Schaufelberger - Eugen Jost und seine Schwester - Marcel Fisler (letzte zwei Abschnitte) - Dr. Kurt Mäder, VOS (Hinweis auf 1899)
Im oberen Bildteil der normale Einsatzzweck der Federn, unten eine Federnsammlung, wie sie um 1955 bei einem Spielprofi üblich war. Alle Teile entstammen der Requisitenkammer der OGS, unterstützt von René Peter.