Der Lanz Bulldog, wie er im Volksmund hiess, war der Saurier unter den zahlreichen Seebacher Traktoren. Er wird hier aufgeführt, weil in den 1930er Jahren die Firma Ed. Blatter & Co. AG in Seebach die Vertretung für diesen Traktor inne hatte. Es ist zudem noch in Erinnerung, dass Bauer Kayser von Altwi, einem Weiler auf Rümlanger Boden, aber ganz nah an der Seebacher Grenze, einen Lanz Bulldog fuhr. Das bedeutet, dass man auch ab und zu ein solches Vehikel au den Strassen Seebachs sehen konnte. Er ist somit fester Bestandteil der Seebacher Traktorengeschichte.
Der Lanz Bulldog wurde um 1921 von der Firma Heinrich Lanz AG in Mannheim, D, (1956 von John Deere übernommen) entwickelt und ab 1923 bis etwa 1950 hergestellt. Die letzten Muster hiessen Lanz Gross-Bulldog. In dieser Zeitspanne wurden zahlreiche verschiedene Modelle entwickelt und laufend verbessert. Um 1926 wog der Lanz Bulldog über drei Tonnen und war in der Lage, mit allen möglichen Treibstoffen zu fahren, d. h. mit Benzin, Diesel, Sprit, Flugpetrol, Heizöl, Schweröl und Altöl. In alten Prospekten steht zu lesen, dass man den Motor auch mit Braunkohlenteergasöl, mineralischem Gasöl, pflanzlichen und tierischen Ölen (Talg) sowie mit Petroleum betreiben könne und notfalls wäre er vermutlich auch mit gebrauchtem Pommes-Frites-Öl oder sogar mit Strohrum angesprungen. Die einzige Anforderung an den Treibstoff war, dass er bei Umgebungstemperatur flüssig und brennbar sein musste.
Der Bulldog-Motor wurde ab etwa 1918 von Ing. Fritz Huber entwickelt. Vom bekannten Motorradberichterstatter und Verfasser von mehreren Motorsportbüchern Ernst Leverkus (Klax) stammt der bekannte Satz: "Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, es sei denn durch noch mehr Hubraum." Dies traf besonders auf den Lanz Bulldog zu, denn dieser war gewaltig, betrug er doch beim Modell 1926 unglaubliche 11 Liter! Und noch viel unglaublicher war die Zylinderzahl des Motors: Schlicht ein einziger!!! Von Fritz Huber höchst persönlich stammt dazu der legendär gewordene Satz: "Ein Schlepptraktor kann nicht einzylindrig genug sein". Damit ein Einzylindermotor dieser Bauweise im unteren Drehzahlbereich rund lief, benötigte er ein grosses Schwungrad, welches beim Lanz Bulldog rechts aussen angebracht war und etwa 75 cm Durchmesser hatte. Der Motor arbeitete nach dem 2-Takt-Selbstzünder-Prinzip mit Kurbelgehäuseaufladung. Also genau so wie die alten Modellflugmotoren von Webra, Taifun usw.
Für einen Traktor war ein solcher Motor nach 1950 nicht mehr zeitgemäss, was andeutet, dass die Ur-Idee zu diesem Motor offensichtlich eher an den Anfang des letzten Jahrhunderts gehört. Der Motor entwickelte beim Modell 1926 etwa 22 PS und er hatte eine Höchstdrehzahl von 500 U/min: Für einen Diesel hatte er zudem eine erstaunlich niedrige Kompression und mit einer Literleistung von 2 PS wurde der Motor sicher nicht überfordert!
Der Traktor wirkte riesig, wenn man vor ihm stand. Seine doppelt bereiften Hinterräder waren mannshoch. Alle Räder hatten Vollgummireifen und das Steuerrad wie auch der Sattel befanden sich ganz auf der linken Seite. Wenn man heute an einer belebten Strasse versuchen würde, den Motor des Lanz Bulldog in Schwung zu setzen, dann strömten mit Sicherheit in kürzester Zeit ein paar hundert Menschen zusammen, um der unglaublichen Zeremonie beizuwohnen.
Das Anlassprozedere war bei jedem neuen Modell immer wieder etwas anders und auch beim Bulldog stand die Zeit nicht ganz still, sodass bei den neueren Modellen gegen das Jahr 1950 hin das nachfolgend beschriebene Anlassverfahren nicht mehr galt. Das nachfolgende Zeremoniell hat die OGS auf einem Video unter youtube mehrmals ungläubig angeschaut und versucht, es in Worte zu fassen:
Die Vorarbeiten für das Anlassen begannen eine Viertelstunde (!) vor der geplanten Abfahrt mit einer Art Lötlampe, mit welcher man den Glühkopf des Motors, welcher ganz vorne am Motor angebracht war, zum Glühen bringen musste. Danach wurde der Motor mit einer Aufsteckkurbel angeworfen, welche man am grossen Schwungrad einklinken konnte. Dazu musste man das Steuerrad verwenden, welches mit einem kurzen Griff von der Steuerstange entfernt werden konnte. Klar, dass es fürs Anlassen mindestens 3 Mann brauchte, allerdings galt das nur für die Schau. Der Besitzer eines alten Lanz Bulldogg hat mir glaubhaft verischert, dass man den Traktor auch ganz alleine in Schwung setzen konnte.
Da man bei den älteren Modellen mit dem Steuerrad alleine den Motor nicht anwerfen konnte, erfolgte dieser entscheidende Kraftakt, indem man mit viel Kraft am Starterseil zog und so das Schwungrad in Drehung versetzte. Neuere Modelle hatten ein gekapseltes Schwungrad. Die letzten Modelle von etwa 1948 besassen bereits einen Elektrostarter. Einmal in Betrieb, tönten sie aber fast alle gleich eindrücklich. Bei einem Treibstoffwechsel musste der Führer dann noch die Kompression neu einstellen. Lief der Motor, dann hiess es, die Kompression allenfalls mit viel Gefühl und einem guten Ohr vorsichtig anzupassen, bis der Motor sauber und rund vor sich hin wummerte.
Dass der Motor in Schwung war, merkte man spätestens an den Explosionsgeräuschen, welche dem kaminartig hoch in die Luft ragenden Auspuff entwichen, sowie an den schwarzen Qualmwolken, welche den Auspuff verliessen. Bei einem Einzylinderzweitaktmotor mit elf Litern Hubraum bewegte sich der Kolben in der Art eines alten Sulzer Schiffsdiesels. Im Leerlauf begab sich der Kolben so langsam auf seinen Weg zu einem vollen Umlauf, dass selbst kleine Kinder ohne Mühe die einzelnen Explosionen mitzählen konnten. Und das alles natürlich mit ziemlich viel Krach und unglaublichen Erschütterungen, welche man beim federnd montierten Sattel besonders eindrücklich beobachten konnte. Dieser schwang mit einer Amplitude von mehreren Zentimetern! Das Motorengeräusch erinnerte ein wenig an einen fortlaufenden Böller oder an einen Dampfhammer. Wer den Anlassprozess des Traktors als kurzen Videoclip miterleben möchte, wähle dazu die ganz unten angegebene Adresse von youtube. Toyota Prius-Fahrer sollten sich allerdings schonend heran tasten, sie könnten schockiert oder konsterniert sein. Mit etwas Humor wird man aber von dem Spass kaum genug bekommen. Zum Glück gibt es Dutzende solcher Videos. Nur eines ist an den meisten Videos falsch dargestellt. Wer den Motor kannte, brauchte keine Hlefer zum Anlassen.
In Bewegung versetzte man den Traktor durch Einlegen des ersten Ganges. Mit dem ersten erreichte man maximal 3 km/h, mit dem zweiten 6 km/h, mit dem dritten 9 km/h und mit dem vierten, so quasi ein Overdrive, an die 13 km/h. Das Getriebe war so gross wie bei einem Panzer und seine Zahnräder waren so schwer, dass man sie in Kilogrammen mass. Ausser den vier Vorwärtsgängen gab es noch einen Leerlauf, aber keinen Rückwärtsgang. Dafür musste der Führer den Motor kurz anhalten und ihn danach in umgekehrter Drehrichtung neu starten, also die gleiche Prozedur wie beim Messerschmitt-Kabinenroller. Siehe dort! Dafür standen dann vier Rückwärtsgänge zur Verfügung! Wer braucht das? Man vermied es besser, den Traktor so zu bewegen, dass Rückwärtsfahren notwendig wurde.
Es gibt in der Schweiz immer noch einige ganz wenige solche Traktoren, während es sie Deutschland noch in grösseren Stückzahlen gibt, wo sie an landwirtschaftlichen Veranstaltungen und dergleichen für Zulauf sorgen. Einer von denjenigen, welche in der Schweiz überlebt haben, ein vorbildlich restauriertes Bijou, wurde am Samstag, den 22. September 1990 anlässlich der Ausstellung «Zweite Transport-Extravaganza» in Rapperswil SG beim Bahnhof dem staunenden Publikum vorgeführt. Insbesondere hatten die stolzen Besitzer ihren Heidenspass, als sie den noch kalten Motor in der weiter oben beschriebenen Manier in Schwung setzten durften.
Mehr über den Traktor siehe unter www.wikipedia.ch/Lanz Bulldogg! Dort findet man auch zahlreiche Fotos von verschiedenen Modellen. Auch unter Google Bilder findet sich eine grosse Anzahl Fotos! Der obige Beitrag wird in den nächsten Wochen noch überarbeitet und mit Fotos ergänzt, dies dank der Unterstützung durch einen Schweizer Besitzer eines Lanz Bulldog.
Quellen: - Trammuseum Zürich (Broschüre mit Angaben zum Modell 1926) - OGS-eigene - Wikipedia - Gabriel Schnellmann (erinnert sich, dass Bauer Kayser von Altwi einen Lanz Bulldog fuhr) - www.youtube.com/, dann suchen mit «Lanz Bulldog» - Roman Preid (Hinweis auf die Vertretung von Ed. Blatter & Cie.)