Da es in Seebach zahlreiche Flarzhäuser gab und einige immer noch gibt und mindestens ebenso viele von den Fachleuten nicht als Flarzhäuser anerkannt werden, obwohl sie doch entsprechende Merkmale aufweisen, kann es nichts schaden, wenn die Bedeutung des Wortes «Flarz» in der OGS-Seebach einmal genauer beleuchtet wird.
Das Wort «Flarz» wird hauptsächlich im Zürcher Oberland, also ab einer Linie Zumikon - Dübendorf - Effretikon - Sennhof- Elgg bis zum Pfannenstil und ab Hombrechtikon bis zur Zürcherisch-St. Gallischen Kantonsgrenze gebraucht. Vereinzelt gibt es aber auch noch ein paar kleine 'Sprachinseln' ausserhalb dieses Gebietes.
Die Deutung des Wortes ist nicht ganz einfach. Zuerst einmal sucht man nach ähnlichen oder verwandten Wörtern mit dem Wortstamm «Flarz-». Dabei fällt auf, dass es im heutigen Hochdeutsch keine solchen Wörter gibt. Somit bleibt nur noch die Mundart, doch im «Zürichdeutschen Wörterbuch», Ausgabe 1968, kennt man keine Wörter mit diesem Stamm. Durch reinen Zufall las die OGS in der «Geschichte des Heinrich Rebsamens», dass man im Zürcher Oberland früher das Wort «umeflarze» kannte, welches «gebückt gehen» bedeutete. Das war denn auch das einzige Wort, welches neben Flarz, Flarzhaus und seinen direkten Ableitungen zu finden war. Das hiesse, dass ein Flarzhaus ein Wohnhaus wäre, in welchem man gebückt gehen müsste. Da die OGS schon zahlreiche Flarzhäuser besichtigte, weiss sie, dass dies nicht immer so ausgeprägt zutraf (z.B. im Flarzhaus am Bach war es zutreffend). Also kann diese Deutung so streng nicht stimmen. Zu vermuten ist, dass «umeflarze» = «gebückt gehen» nur eine sehr übertragene Wiedergabe der wirklichen Bedeutung des Wortstamms «Flarz» darstellt und als Verb erst entstanden ist, als der Wortbildungsprozess für «Flarz» bereits abgeschlossen war. Umeflarze wird im Idiotikon auch als im Dreck, im Kot herum gehen gedeutet.
Das Idiotikon deutet Flarz mit Fladen, auch Kuhfladen, wobei im Falle der Häuser damit die Dachform gemeint sei, welche bei Flarzhäusern nicht selten eher flachwinklig ist. Ein Flarzhaus war also zum einen ein eher breit gebautes, meist mit Schindeldach versehenes Haus. Man verstand unter einem Flarz auch oft einen ganzen Komplex von solchen Häusern, nachzulesen im Idiotikon, Band 1, auf Seite 1207-1208. Die Deutung Fladen ist sehr anschaulich und bezieht sich somit auf die Dachform. Es sind keine Flachdächer, aber doch Dächer mit einer geringen Neigung. Da das Wort «Flarz» heute vorwiegend im Zürcher Oberland geläufig ist, lässt dies vermuten, dass die spezielle Bauweise solcher Häuser anderswo nicht in diesem Ausmass angewandt wurde und allein auf die grosse Armut der Leute in einzelnen Gegenden des Kantons Zürich zurück zu führen war, welche die Gemeinde zu strengen Bauvorschriften zwang, welche dann durch das Aneinanderreihen weiterer Zeilen umgangen wurden. Dies würde auch erklären, warum das Wort hier isoliert auftrat und nicht von anderswo ins Zürcher Oberland getragen wurde.
Das Wort hat eindeutig einen oberdeutschen Ursprung, ist also alemannisch. Nebenformen sind Flartsch, Fläre (Fleck) usw. Die ursprüngliche Wortbedeutung wurde also von der Sprache der Alemannen verbreitet. Die Alemannen lebten aber vor 1800 Jahren und früher noch im Elbgebiet, sodass man das Wort vermutlich auch in den alten nordischen Sprachen antreffen müsste. Das bisher einzige Wort, welches ich dort antraf, war der schwedische Havreflarn, ein flaches (!) Haferflockenguetsli, welches man seit Jahrzehnten bei Ikea kaufen kann. In der schwedischen Form 'flarn' kommt ebenso die Flachheit des Gebäcks zum Ausdruck und scheint mit dem bereist erwähnten zürichdeutschen Fläre verwandt zu sein. Erinnert sei auch an das englische 'flare'.
Die bäuerliche Bauweise der Flarzhäuser wurde fast im ganzen Kanton Zürich bei den ärmeren Bauern, den Taunern und Handwerkern noch bis vor 200 Jahren, danach nur noch im Zürcher Oberland gepflegt. Mit diesem Beitrag zum Flarzhaus hat die OGS aber auch im grenznahen, süddeutschen Gebiet Interesse geweckt, was bedeuten könnte, dass der Ausdruck Flarz vielleicht auch dort einmal bekannt war.
Folgende Merkmale sind typisch für Flarzhäuser:
- Eine steile Holztreppe führte ins Obergeschoss mit den beiden Schlafkammern. Also war es zweistöckig, wobei die Fenster im Obergeschoss nur knapp unterhalb der Traufrinne lagen und sehr nahe am Boden des oberen Stockwerkes begannen.
- Diese Bauweise war recht kostengünstig. Das Haus wurde aus Holz gebaut und war daher für einen Handwerker kein Problem zum Eigenbau, meist mit fachkundiger Hilfe. Der kostengünstige Bau hatte oberste Priorität, denn die Leute waren meist sehr arm. Es gibt aber auch Flarzhäuser in gemischter Bauweise, also solche mit gemauerten Wänden.
- Kein geknicktes Dach, da zu kompliziert.
- Reihenbauweise, beginnend mit dem Bau des ersten Hauses durch den Begründer und laufenden Anbauten der Nachkommen, je nach Wachstum der Sippe und Verbleib der Nachkommen im Ort.
- In der Regel kein Steildach, sondern eines mit schwacher Neigung, da dies günstiger war und zum Schlafen auch kein hohes Dach nötig war.
- Keine Lukarnen, da dies teurer Luxus war.
- Bauweise mit zwei Giebeln und zwei Dachflanken, also ein Satteldach, ursprünglich mit Stroh gedeckt, nach 1830 nach und nach mit Schindeln und Ziegeln.
- Ursprünglich oft, aber nicht immer, als Handwerkerhaus erstellt und erst später zu einem vollwertigen Wohnhaus ausgebaut.
- Ursprünglich meist ohne Herd, Kamin und Wasseranschluss.
- Typisches Haus für Tauner (Taglöhner), Kleinbauern, Wollenkämbler und Handwerker, oftmals in einer Person. Ganz früher wurde im Erdgeschoss gearbeitet und oben geschlafen, falls der Heimweg nicht möglich war.
- Erbaut in der Zeit nach 1400 aufwärts bis spätestens um 1800 - 1900.
- Die Flarzhäuser hatten im Erdgeschoss lange Fensterreihen, um möglichst viel Licht einzulassen, denn im Erdgeschoss wurde ja gearbeitet und elektrisches Licht gab es nicht und Talglichter waren teuer und lichtschwach.
- Die Höhe der Decke war häufig, aber nicht immer niedrig.
- Flarzhäuser wurden oft erstellt, um ein Verbot von Neubauten durch die Gemeinde zu umgehen, welche sich vor dem Zuzug armer Leute fürchtete. Nur den Söhnen ansässiger Familien war es erlaubt, an das ursprüngliche Haus einen neuen Teil anzubauen. Im Aufteilen eines bestehenden Hauses oder durch den Anbau einer weiteren Wohneinheit an der Giebelseite konnten auch strengere Verbote umgangen werden.
Quellen: - OGS-eigene - «Die Geschichte von Heinrich Rebsamen», heinrichrebsamen.blogspot.com/2009/03/die-lebensgeschichte-von-heinrich.html - www.zh-oberland.regiomagazin/etc. (Flarzhaus von Rosa Freddi in Undalen)