Der Salat Olivier ist kein Seebacher Rezept, doch lernte ich die Geschichte und die Zubereitung dieses Salats bei der aus Rumänien stämmigen Familie Cherestes in Dübendorf ZH kennen, wodurch es auch zu einem Rezept der Familie Wirz wurde. Daher wird hier dessen Entstehungsgeschichte erwähnt.
Ursprung
Dieser Salat hat seinen Ursprung im französichen «Salade de boeuf», zu deutsch Rindfleischsalat, welcher angeblich ein älteres französisches Rezept sei, denn immerhin gibt es einen «Salade de boeuf à la parisienne». Allerdings fehlt er im Kochbuchführer von Escoffier (1846-1935) in der deutschen Ausgabe von 1999. Er hätte auf Seite 199 aufgeführt werden müssen, doch hat man ihn offenbar vergessen. In der Ausgabe von 1920 wird er noch erwähnt. Die deutsche Ausgabe von 1999 ist eine Übersetzung der französischen Ausgabe von 1923. Warum Escoffier den Salade de boeuf trotz offensichtlich französischen Wurzeln nicht mehr erwähnte, bleibt vorerst ein Rätsel, denn immerhin handelt es sich dabei um ein in Frankreich seit langem bekanntes Rezept. Selbst wenn es aus Belgien stammen sollte, hätte es Escoffier erwähnen müssen, denn wenn man von der französischen Küche spricht, dann meint man damit die Küche aller französisch sprechenden Länder und Regionen der Welt. Der Begriff "französisch" wird in der Küchensprache üblicherweise nicht politisch, sondern kulturell verstanden. Allerdings ist es schlicht unmöglich, sämtliche französischen Rezepte in einem Buch aufzuführen. Vermutlich war das der Grund, warum ihn Escoffier nicht erwähnte, ein anderer könnte sein, dass er es für die gehobene Küche eher als provinziell betrachtet hat oder dass das Rezept bei der Übersetzung schlicht übersehen wurde.
Dennoch hat sich dieser Salat in der halben Welt verbreitet, denn unter dem französischen Namen «Salade de boeuf» oder dem russischen Namen «Salat Oliwje» findet man ihn auch in Rumänien, Moldawien, Persien, Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam. In den meisten anderen Ländern trägt er den Namen «Russischer Salat», auch wenn der originale russische Salat kein oder doch nur sehr selten Fleisch enthält.
Lucien Olivier
Der Grund für die Bezeichnung Salat Olivier ist ein begabter Kochkünstler namens Lucien Olivier (1838-1883). Er war ein Belgier mit Abkunft aus Frankreich. Er wanderte um 1860 von Belgien nach Russland aus und arbeitete bis 1864 bei einem russischen Adligen als Privatkoch. Er hat das ursprüngliche Rezept nach Russland mitgebracht, wo er ab 1864 in seinem neu eröffneten Restaurant "Ermitage" in Moskau das Gericht etwas an den russischen Geschmack anpasste. Sein Restaurant verwöhnte dabei vor allem die gehobenen Feinschmeckerkreise und er kochte trotz Konzessionen an den russischen Gaumen dennoch französisch. Seine Kundschaft nannte seinen Salat bald kurz und einfach «Salat Olivier», obwohl er ihn anfänglich als «Salade de boeuf» anpries. Und weil seine 'Sauce' und die Zusammensetzung der Salatbeilagen seine Gäste zu überzeugen vermochte, brauchte er auf die Nachahmer nicht lange zu warten. Auch wenn es nur einen einzigen Koch gegeben haben soll, welcher einmal bei Lucien Olivier gearbeitet hat und seine Sauce recht gut beherrschte, verbreitete sich sein nachgeahmtes Salatrezept in der ganzen Stadt, obwohl er das Rezept seiner Sauce stets geheim hielt und mit ins Grab nahm. Das lag allerdings nicht an seiner Unvernunft, sondern an seinem plötzlichen und unerwarteten Ableben im Alter von erst 45 Jahren. Sein Grab hat man jüngst wieder aufgefunden. Es soll wieder hergerichtet werden, wie es sich für einen berühmten Koch gehört. Ein wenig mehr über Lucien Olivier findet man bei Google Bilder unter "Amazing Belgium: The Belgian Russian Salad". Dort findet man auch eine Foto seines Grabsteins.
Das Salatrezept verbreitet sich über die ganze Welt
Es dauerte nicht mehr lange, bis der Salat Olivier auch über die russischen Grenzen hinaus bekannt wurde, was vor allem daran lag, dass seine Gäste auch aus anderen Ländern stammten. So fand der Salat gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts bald einmal seine Freunde in zahlreichen Ländern rund um Russland. Dabei wusste das einfache Volk dieser Länder kaum, woher das Rezept stammte. Der Salat wurde überall im Laufe der Zeit den nationalen Gegebenheiten und dem lokalen Geschmack angepasst. In einigen Ländern behielt er den französischen Namen, in einigen blieb es beim Salat Olivier, doch in den meisten europäischen Ländern wurde er als Russischer Salat bezeichnet, natürlich in den jeweiligen Landessprachen wie Insalata russa, Ensalada rusa, Salata ruski, Venäläinen salaatti, Ryska sallat, Russian salad, Salade russe, Salata ruseasca etc.
Das Originalrezept
Der originale Salat von Lucien Olivier enthielt ursprünglich Rindfleisch, Kalbszunge, Kaviar, grünen Salat, Krebse, Cornichons, Kapern, gekochte Eier und wurde mit der bereits erwähnten geheimen Sauce zubereitet, welche auf einer Mayonnaise aufgebaut war. Nach dem Tod Oliviers im Jahre 1883 geriet das Originalrezept allmählich in Vergessenheit. Der Name "Oliviersalat" russisch "Salat Oliwje" hingegen blieb in Russland erhalten, nur hatte die Zubereitung mit dem Original nicht mehr allzu viel zu tun. Nach der Oktoberrevolution und bis nach dem 2. Weltkrieg hörte man vom Salat Olivier kaum mehr etwas, doch ab etwa 1950 wurde der Oliviersalat in Sowjetzeiten zu einer Art Nationalgericht, obwohl er ursprünglich einmal eine Delikatesse für den Adel war. Es gibt einige Zutaten, welche man quasi als obligatorisch bezeichnen könnte. Es sind dies: Gekochte und klein geschnittene Kartoffeln, gekochte Rüebli, Salzgurken, Wurst oder gekochtes Rind- oder Hühnerfleisch, gekochte Eier, Erbsli oder gekochte Bohnen und natürlich die etwas spezielle Mayonnaise. Bei der Würze ist man dann frei. So ist das bis heute in Russland geblieben. Die Mayonnaise-Sauce wurde immer so vereinfacht, dass sie jedermann mit dem, was in den Läden erhältlich war zubereiten konnte. Der Oliviersalat ist nach wie vor ein Festmenü und wird vor allem am Neujahrsfest und an Geburtstagen, aber auch anlässlich aller russischen Feiertagen serviert. Man erhält ihn in kleinen Plastikschälchen in allen Trattorien und Feinkostläden in den meisten Städten im europäischen Russland.
Die Abkömmlinge
In Tschechien ist die dortige Variante als Bramborový salát bekannt und hält sich dort vor allem als Weihnachtsessen. Die tschechische Variante enthält etwas mehr Kartoffeln, gleicht aber dennoch stark dem Russischen Salat. Wenn man Tschechen auf die Herkunft des Salats hinweist, sind sie sehr erstaunt, denn sie halten ihn für eine tschechische Spezialität, welche man dort schon seit Ewigkeiten so zubereite.
In der Slowakei heisst er Zemiakový Salát und ist ebenfalls an Weihnachten sehr beliebt. Auch die slowakische Variante enthält mehr Kartoffeln, gleicht aber dennoch stark dem Russischen Salat. Auch die Slowaken glauben, dass er seit undenkbaren Zeiten in ihrem Land so zubereitet werde.
In Rumänien und Moldawien nennt er sich «Salata de boeuf» und wird bei Festessen oder bei Besuchen serviert, mit Schinken und/oder Huhn ergänzt und gilt dort sogar als Nationalgericht. Er wird das ganze Jahr über zubereitet. Einige Rumänen wissen zwar, dass der Salat von auswärts kam, doch es schert sie nicht sonderlich, da er ja ihr Nationalgericht ist. In Rumänien ist der echte Oliviersalat aber ebenfalls bekannt, nur wird er weniger oft zubereitet.
In Persien heisst er Salat Olivier und gleicht eher dem russischen Rezept. Er ist dort vor allem an Geburtstagen sehr beliebt und erfreut vor allem die Kinder.
In Spanien nennt er sich Ensalada rusa und gleicht ebenfalls erstaunlich stark dem heutigen russischen Salat Olivier. Er gilt in Spanien als unverzichtbar und man trifft ihn weit herum.
In den slawischen Ländern werden bei diesem Salat Bouillon, Essig und Öl eher gemieden, dafür findet die Mayonnaise stärker Verwendung. Dementsprechend sind die dortigen Saucen sehr zähflüssig, da man die Mayonnaise nur sehr schwach verdünnt.
Rekonstruktion des alten Rezeptes
Die originale Sauce Olivier zu rekonstruieren ist unmöglich. Meine Versuche scheiterten, da es keine brauchbaren Grundlagen gibt. Es ergäbe sich eine reine Fantasie-Sauce. Daher benütze ich jene Sauce, welche eine aus Russland stammende Gattin eines Schulkameraden benützt. Diese ist sehr viel einfacher. Für die Sauce siehe unter Sauce Olivier und für den Salat unter Salat Olivier! Natürlich sind diese Rezepte auch ein wenig der Schweizer Zunge angepasst.
Ein Kochbuch von Lucien Olivier?
Die OGS fand im Kochbuch «Osteuropäische Küche» von Edition XXL, in Reichelsheim, Deutschland, Lizenz-Auflage 2002, auf Seite 40 ein Rezept für den Salat Olivier. Dabei erwähnt der ungenannte Autor des Buches, dass Lucien Olivier später auch ein Buch der russischen Alltagsküche veröffentlicht habe. Von diesem Kochbuch konnte die OGS trotz intensivster Suche nie auch nur den Hauch einer Erwähnung finden. Und noch toller ist, dass in diesem Olivier'schen Kochbuch auch der Salat Olivier samt der von ihm stets geheim gehaltenen Salatsauce zu finden sei. Das Rezept ist sehr einfach:
Es ist, wie man leicht erkennt, das Rezept für eine fein gewürzte Mayonnaise. Die OGS meint dazu allerdings: Es ist völlig neu, dass Lucien Olivier ein Kochbuch publizierte, dass er sein Saucenrezept preisgab und dass es so einfach war, dass gar nie ein Grund bestand, es geheim halten zu wollen. Zudem kann die Verwendung von Essig und Öl nicht stimmen, denn diese beiden Zutaten benützte man in der älteren russischen Küche eher selten. Vermutlich hat der Autor das aufgeführte Rezept samt allen anderen Angaben einem späteren russischen Kochbuch entnommen und dem westeuropäischen Geschmack angepasst.
Quellen: - OGS-eigene - Joan Cherestes - «Osteuropäische Küche» von Edition XXL, in Reichelsheim, Deutschland, Lizenzausgabe 2002