Die Entstehungsgeschichte des ungarischen Kesselgulaschs
Gastronomie – Geschichte – historisch
Einleitung
Das Kesselgulasch ist auch ein Seebacher Familienrezept und erscheint deshalb in der OGS. Kesselgulasch ist die deutsche Übersetzung für das ungarische Bográcsgulyás. Es ist in seiner Urform trotz anders lautenden Vermutungen wahrscheinlich über 1000 Jahre alt, doch hat es die heutige Ausprägung erst in den letzten 220 Jahren erhalten. Allein dies dürfte der Grund sein, warum man das Gericht für jünger hält.
Wie bei allen Gerichten mit langer Vergangenheit, erreicht man schon mit bloss 200-jährigen Rezepten meist eine Grenze, bei welcher der heutige europäische Gaumen zu rebellieren beginnt. Dies einfach deshalb, weil das Geschmacksempfinden einem ständigen Wandel unterliegt, also laufend neu konditioniert wird. Was vor 200 Jahren noch alle für wohlschmeckend hielten, würde heute die meisten Menschen erschaudern lassen. Allein schon aus diesem Grund macht es nicht viel Sinn, Rezepte in damaliger Originalzubereitung zu verbreiten. Und ein Rezept zu schreiben, welches alle scheusslich finden, macht ebenfalls keinen Sinn.
Es gibt aber die Möglichkeit, sehr alte Rezepte ihrem Wesen nach in der alten Art zu belassen, jedoch auf den heutigen Geschmack abzustimmen, sodass es damit möglich wird, auch sehr alte Rezepte so zuzubereiten, dass man sich davon ein Bild machen kann, wie man sich früher ernährte und dennoch Spass hat beim Essen. Ein gutes Beispiel ist dabei der Hirsebrei aus dem Mittelalter, welchen man heute als Hirsotto mit Safran und Grana padano den meisten Menschen problemlos anbieten kann.
Nachfolgend soll nun näher auf die früheste Herkunft des ungarischen Kesselgulasch eingegangen werden.
Vier Grundarten von Gulasch
Aus dem Bográcsgulyás entwickelten sich vier Grundarten von Gulasch, die der Ungare ganz ausdrücklich unterscheidet, während man sie im übrigen Europa nur selten auseinander hält und meist einfach von ungarischem Gulasch spricht. Es sind dies:
A. Das Gulyás (eine Gulaschsuppe, Fleisch wird nur sanft angebraten)
B. Das Pörkölt (Fleisch wird kräftig angebraten, sieht aus wie das westeuropäische Gulasch, schmeckt aber etwas anders und enthält mehr Paprika)
C. Das Tokány (wenig bis gar kein Paprika, dafür mehr Pfeffer und Majoran, Fleisch oft streifig geschnitten). Es kommt dem Urgulasch vermutlich am nächsten, denn dieses musste noch ohne Paprika auskommen.
D. Das Paprikás (mit hellem Fleisch zubereitet, mit saurem Rahm ergänzt)
Zusätzlich zu dieser Einteilung gilt es noch zu beachten, ob man nach klassischen oder nach modernen Grundsätzen kocht. Der Unterschied liegt bei der Gemütlichkeit oder eben bei der Hastigkeit, mit welcher man kocht. Beim Gulasch kann dieser Zeitunterschied bis zu 4 Stunden betragen. Den entscheidenden Unterschied merkt man spätestens beim Essen. Ein erfahrener Koch kann den Unterschied allerdings sehr klein halten.
Es sei nochmals wiederholt: Dies sind nur die vier Grundarten von Gulasch, damit man eine gewisse Übersicht hat. Für Gulasch lassen sich viele tausend Rezepte finden.
Historische Grundlagen der ungarischen Küche
Es wird hier von der ungarischen Küche gesprochen, wie sie in einem grösseren Familienhaushalt auf dem Lande gepflegt wird. Mit den Einrichtungen, wie man sie in einer Hotelküche oder in einer modernen Haushaltküche heute benützt, besteht keine Ähnlichkeit.
Zum besseren Verständnis der ungarischen Kochweise sei darauf hingewiesen, dass die Philosophie der hierorts üblichen französischen Kochgrundsätze und jener der Ungarn doch in manchen Punkten voneinander abweichen. Nachfolgend seien daher ein paar wenige wichtige Grundsätze der alten ungarischen Küche kurz aufgezählt:
- Zwiebeln sind nicht irgend ein Beigemüse, sondern sie bilden neben dem feinen Aroma die Grundlage für die spätere Sauce und speziell für das Abbinden selbiger. Sie ersetzen das in der französischen Küche übliche Mehl. Durch das lange Kochen lösen sich die Zwiebeln allmählich auf und helfen mit, dass die Sauce sämig wird. Im späteren Kochgang sorgen dann die Gelatine aus dem Fleisch, das Tomatenpurée und der saure Rahm noch weiter für Sämigkeit.
- Klassische ungarische Gerichte sind je archaischer sie sind, in aller Regel Eintopfgerichte, entweder dick eingeschmorte oder dann suppenartige.
- Ungarische Eintopfgerichte benötigen in der klassischen Zubereitungsweise durchwegs ein paar Stunden Zeit. Sie werden nicht gekocht, sondern geköchelt oder sanft geschmort.
- Die ungarische Küche ist bei der Zubereitung sehr stark geprägt von viel Gemütlichkeit. Diese Gemütlichkeit ist mit verantwortlich für den einmaligen Geschmack. Man darf die Gemütlichkeit aber nicht mit Faulheit verwechseln, denn sie hat mehr mit Geduld zu tun. Was lange währt wird endlich gut. Jede Hastigkeit ist bei der Zubereitung der Speisen völlig fehl am Platz und entspricht nicht dem traditionellen ungarischen Gemüt.
- Die Grundzubereitungsarten sind sehr einfach und immer wieder die gleichen. Sie sind so einfach, dass sie jedermann rasch begreift. Auch die Ausstattung einer ursprünglichen ungarischen Küche ist sehr schlicht. Beim Kochen kommen immer wieder die genau gleichen Prinzipien zur Anwendung, welche auf einfachen und logischen Grundsätzen beruhen. Die ungarische Küche ist ganzheitlich, das heisst, sie benützt alles, was irgendwie essbar ist und schliesst nichts aus. Man kocht, was gerade verfügbar ist. Entscheidend ist die Harmonie der Zutaten und die ist nebst der richtigen Auswahl der Zutaten nur über genügend Zeit zu erreichen.
- Übliche Getränke sind das frische, kühle Wasser, der Wein und der Edelschnaps.
- Die ungarische Küche würzt tendenziell reichlich, doch im Falle von Gerichten, welche sich nicht durch ihre Schärfe auszeichnen, ist es die immer wieder erstaunliche Ausgewogenheit und Harmonie der Würze und Aromen. Die ungarische Küche verlangt zum tieferen Verständnis dieser Kochweise, dass eine Köchin oder ein Koch gerade damit sehr vertraut ist.
- Durch die enge historische Verknüpfung der ungarischen Volksstämme mit den Nachbarvölkern ergab sich von selbst ein Einfluss der tschechisch-slowakischen, rumänischen, griechischen, österreichischen, deutschen, südslawischen, ukrainischen, bulgarischen, tatarischen, polnischen und türkischen Küche. Diese vielfältigen Einflüsse sorgen mit für die Einmaligkeit der heutigen ungarischen Küche.
- Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Kesselgulasch hatte zudem die Vereinigung der beiden Königreiche Ungarn und Österreich von 1867 bis 1918. Nach diesem Zusammenschluss fand nach und nach auch ein Austausch der Kochgewohnheiten statt. Speziell das Gulasch hatte es den Österreichern angetan, sodass sie alsbald begannen, dieses Gericht nach zu kochen und zu verändern. Aus den zahlreichen Versuchen angesehener Wiener Köche entwickelte sich allmählich das Wiener Saftgulasch, welches leicht daran zu erkennen ist, dass es einen höheren Anteil an Zwiebeln und Paprikapulver enthält, dafür aber weniger Peperoni (Gemüsepaprika). Damit wäre auch der Widerspruch bezüglich des Verhältnisses von Fleisch und Zwiebeln im echten Gulasch geklärt. Es war also eine österreichische Idee, das Verhältnis eher bei 50:50 anzusiedeln, während die Ungarn eher 80:20 oder 70:30 als richtig sehen. Auch der gelegentliche Streit, ob man nun Paprikapulver oder Gemüsepaprika benützt, hatte einen österreichischen Ursprung.
Das Wiener Saftgulasch wurde sehr populär, nicht nur in Österreich, sondern auch in Ungarn und weil namhafte ungarische Spitzenköche stets empfahlen, die alten ungarischen Gerichte etwas der neueren Zeit anzupassen, kehrten die in Wien und anderswo modifizierten Gerichte auch wieder nach Ungarn zurück und belebten die ungarische Küche.
Der Vorläufer des heutigen Bográcsgulyás
Bográcsgulyás bedeutet auf Deutsch Kesselfleisch. Allerdings müsste man natürlich Bográcsgulyáshus sagen, doch das ist auch den Ungarn etwas zu umständlich. Daher sagen sie meist nur Bográcsgulyás oder sogar nur Gulyás. Die Ungarn kannten das Ur-Gulasch bereits, als sie noch als Nomaden auf ihren Jahrtausende dauernden Wanderungen unterwegs waren, damals hatte das Gulasch natürlich noch seine ursprünglich braune Farbe. Allerdings wissen nicht einmal die ungarischen Historiker, wie ihre frühesten Vorfahren das Ur-Gulasch nannten, denn diese ganz frühen Wurzeln des Gerichts sind noch kaum erforscht. Gulyáshus (Hirtenfleisch) dürfte aber bereits eine sehr alte Bezeichnung sein.
Als Kesselfleisch können es die Ungarn logischerweise aber erst zubereitet haben, nachdem sie auf ihrer Wanderschaft in südlichere Gegenden vordrangen, wo zumindest Kupferkessel bereits bekannt waren, womit man vermuten darf, dass sie ihr Leibgericht frühestens um die Zeitenwende, also ganz grob um das Jahr 1 als Kesselfleisch zubereiten konnten. Somit verlieren sich die noch früheren Schritte zur Entwicklung dieses Gerichtes im Dunkeln. Allerdings muss man sich das Ur-Gulasch deutlich anders vorstellen, als das heutige, soviel ist zumindest bekannt. Das Gericht hat eine lange Entwicklung durchgemacht.
Am Anfang des Ur-Gulasch stand möglicherweise ein grosser ausgehöhlter Stein, ein Holzfeuer, eine primitive Holzkelle, Fleisch, Zwiebeln, Knoblauch, Kräuter, eingedickter Knochensud und Salz und eine sehr geduldige Köchin, welche unendlich Zeit hatte, der Gemütlichkeitsküche zu huldigen und das Fleisch und die Zwiebeln so lange zu köcheln oder zu schmoren, bis sich die Zwiebeln völlig aufzulösen begannen und alle Gelatine im Fleisch in die Sauce überging und diese abband.
Die Zugabe von weiteren Bindemitteln wurde dadurch praktisch überflüssig. Gerade dieses lange Kochen ergibt bei richtiger Ausführung der Sauce einen ganz besonderen Geschmack. Viel mehr lässt sich über das Ur-Gulasch beim besten Willen nicht erzählen. Was aber möglich ist, ist die Zubereitung der in diesem Abschnitt erwähnten Zutaten nach heutiger Kochtechnik. Wer sich diese Mühe nimmt, wird nach 6 Stunden staunen, welche Geniesser schon die ältesten Ungarn waren! Einzig beim Würzen braucht es etwas Fantasie und allenfalls auch etwas Annäherung an heute.
Das heutige Bográcsgulyás
Im Gegensatz zum Ur-Gulasch geht das heutige Bográcsgulyás 'nur' auf eine Zeit zurück, als die Ungarn nach der Landnahme begannen, Kühe zu halten, daher Gulyás = Hirte, Kuhhirte. Vor dieser Zeit wurde das Gulasch aus einem anderen Fleisch zubereitet und müsste logischerweise auch einen anderen Namen gehabt haben. Als die Ungarn noch am nördlichen Ob lebten, dürfte es aus Rentierfleisch zubereitet worden sein. Die Ungarn erreichten ihr heutiges Siedlungsgebiet der klassischen Geschichtsschreibung zufolge im Jahre 896. Wikipedia schreibt unter «Ungarn, Kulinarisches», dass der ungarische Kochkessel (Bogrács) auf eine Zeit zurück gehe, als die Ungarn noch Nomaden waren. Da die Ungarn nach ihrer Ankunft in der pannonischen Tiefebene ihr Nomadenleben nach und nach aufgaben, müsste das demzufolge vor 896 gewesen sein.
Die Meinung, dass das Gulasch erst deutlich nach 1800 in Mode kam, ist insofern falsch, als dies nur für die den westeuropäischen Vorstellungen angepasste Gulasch-Variante gilt, welche als Wiener Saftgulasch Vorbildchrakter für Westeuropa hatte. Es ist zwar richtig, dass man bis heute kein schriftlich überliefertes Rezept aufgefunden hat, welches vor 1800 verfasst wurde, doch liegt dies nur daran, dass das einfache ungarische Bauernvolk damals kaum lesen und schreiben konnte. Dass das Gericht viel älter sein muss, erklärt sich schon dadurch, dass es schon vor dem Jahr 1800 zum Nationalgericht der Ungarn erhoben wurde. Im weiteren gibt es indirekte Beweise in Form von Streufunden, welche das Kochgerät bis in die Zeit der ungarischen Landnahme um 896 nachweisen.
Auf dem Lande und in der Familie wird das Gulasch wenn immer möglich noch in traditioneller Weise zubereitet und das braucht Zeit, viel Zeit sogar. Meine Grossmutter stand bereits um morgens 7 Uhr in der Küche, wenn sie Gulasch zubereitete. Sie war zwar keine Ungarin, aber ihre Mutter lebte in den 1870er Jahren eine gewisse Zeit als Haushälterin in Wien, als Gulasch dort gerade gross in Mode kam. Und die Zubereitung von Gulasch hat sie vermutlich von ihr gelernt.
Schlussbemerkung:
Wer ein ungarisches Gulasch ganz traditionell zubereiten will, beschaffe sich:
- 1 ungarischen Kochkessel (Bogrács) - 1 grosse Holzkelle - 1 metallene Schöpfkelle - 1 metallenes Dreibeinstativ - 1 Wiese mit etwas vertiefter Feuerstelle - 15 kg Holz - 1 Schachteli Zündhölzli - 1 alte Zeitung zum Anfeuern - 1 grossen Sonnen/Regenschirm - 2-3 bequeme Camping-Sessel - 1 Gemüsemesser - 1 Rüstmesser - 1 Fleischmesser - 1 tiefer Teller zum Kosten - 1 Stunde Rüstzeit - 6 Stunden Kochzeit - ausreichend innere Ruhe und Gemütlichkeit - 1 kleines Bächlein (notfalls eignet sich auch ein Zehnliter-Wassereimer zum Kühlen des Weins) - 2-3 Weingläser - ausreichend Wein und Brot - allenfalls ungarische Apérohäppchen
Für die Zubereitung des Gulasch gibt es viele Rezepte. Am besten benützt man eines aus Österreich, wenn man es westeuropäisch zubereiten will. Diese Rezepte sind durchwegs noch etwas näher bei der ungarischen Zubereitungsweise. Wer aber ein richtiges ungarisches Gulasch zubereiten will, besorgt sich am besten ein Rezept aus Ungarn selbst. Wer diese Sprache nicht versteht, kann auf ein burgenländisches oder ein siebenbürgisches Rezept ausweichen, welche beide in deutscher Sprache überall zu finden sind und sehr nahe bei der ungarischen Zubereitung liegen. Ausserdem gibt es von Károly Gundel das "kleine ungarische Kochbuch und in der OGS gibt es das Kochrezept Kesselgulasch. Siehe dort!
Quellen: - Luiza Cherestes (Zubereitung, Grundlagen) - Wikipedia (ergänzende historische Hintergünde) - Joan Cherestes (historische Hintergünde) - Wiener Küche, Olga & Adolf Hess - Lajos Kardos (historische Hintergründe und Zubereitung) - István Varga (historische Hintergründe) - OGS-eigene (mehrere Reisen nach Ungarn, nach Burgenland und Siebenbürgen) - «Kleines ungarischen Kochbuch», Károly Gundel, 27. Auflage, ISBN 963 13 5287 0 - Leskowitz: Wiener Kochbuch