Die Entstehungsgeschichte der Spaghetti alla bolognese
Gastronomie – Geschichte – historisch
Vorgeschichte
Dieses Gericht hat streng genommen drei Entstehungsgeschichten, nämlich diejenige der Spaghetti, jene des Ragù alla bolognese sowie die Kombination aus den beiden, die erstaunlicherweise gar nicht aus Italien stammt.
Zuerst zu den Spaghetti
Die Chinesen:
Die Spaghetti sind älter als man denkt. Der absolut älteste Hinweis auf ein Teiggericht, welches den heutigen Spaghetti einigermassen nahe kommt, findet sich in einem der ältesten, erhaltenen Kochbücher der Welt, dem sogenannten "Hon-Zo". Es ist ein Rezept für die Herstellung von Fadennudeln und soll fast 5000 Jahre alt sein. Dieser Hinweis findet sich auf Seite 7 im Heine-Taschenbuch "Das Spaghetti-Kochbuch" von Myra Waldo, Auflage 1973. Der bisher älteste schriftliche Beleg für die Herstellung und den Verzehr von Nudeln stammt ebenfalls aus China und zwar aus der Zeit der Han-Dynastie, also zwischen 206 v. Chr. und 220 n. Chr. Die Coop-Zeitung vom 4.8.2015 berichtet auf Seite 32, dass Forscher in China erst kürzlich sogar einen 4000 Jahre alten Topf mit Nudeln gefunden hätten, die 50 cm lang gewesen seien und wie Spaghetti ausgesehen hätten und die allerdings nicht aus Weizen sondern aus Hirse hergestellt wurden.
Die alten Griechen:
Laganon nannten diese das Nudelblatt, welches in Streifen geschnitten wurde. Die griechische Makaria könnte zumindest vom Namen her ein Vorläufer der italienischen Maccaroni gewesen sein.
Die Etrusker:
Im weiteren wird auch auf die Etrusker verwiesen, wo man in antiken Gräbern in der Toskana aus der Zeit vor 2400 Jahren Abbildungen von Geräten entdeckte, wie man sie zur Herstellung von Teigwaren benützt. Da die Vorfahren der Etrusker möglicherweise aus dem ägäischen und lydischen Raum stammten, gibt es somit auch einen Bezug zur Mittelmeerküste Kleinasiens des Altertums.
Die alten Römer:
Im alten Rom findet man Texte von Horaz und Cicero, welche von Laganum und Lagoni sprechen, Teigwaren also, die heute als Laganelle bezeichnet und in gewissen italienischen Mundarten in leicht abgewandelter Form immer noch benützt werden. In einem der ältesten Kochbücher Europas, welches von Apicius um das Jahr 25 v. Chr. verfasst wurde, findet man sogar einige Teigwaren-Rezepte. Danach wurde es teigwarenmässig aber wieder ruhig im alten Rom.
Die Araber:
Eine andere Legende schreibt die Vermittlung der Teigwaren nach Italien den Arabern zu, die Sizilien im Jahre 827 besetzten. Denen waren die Teigwaren schon seit langem bekannt und sie brachten die von ihnen besetzte Insel auf den Geschmack dieser Speise. Ebenfalls in der bereits erwähnten Coop-Zeitung erfährt man, dass das italienische Wort Spaghetti aus dem Arabischen stamme und Faden oder Schnur bedeute und dass die Araber ebenfalls eine frühe Form von Spaghetti kannten, welche sie nach Sizilien brachten.
Die Italiener:
Im späteren Italien wird ein Geograf namens Al Idrisi erwähnt, welcher davon berichtete, dass um etwa 1150 nahe Palermo eine Art Spaghetti aus Weizen hergestellt wurde. Genannt wird auch Marco Polo, welcher auf einer seiner Reisen nach China das Gericht entdeckte und dann nach Italien gebracht haben soll. Wie so vieles von Marco Polo, werden Teile seiner Reiseerzählungen heute eher den Märchen oder Legenden zugeordnet. So wird erwähnt, dass ein junges chinesisches Mädchen sich in Marco Polo verliebt haben soll, wobei sie in den Teig griff und ihre Finger danach zufällig die ersten Spaghetti formten.
Fazit:
Es gibt noch weitere Hinweise, dass Italiener, Etrusker, Griechen und Araber eine frühe Form der Spaghetti kannten. Nur so weit zurück wie bei den Chinesen reichen die Hinweise im Mittelmeerraum dann doch nicht. Wahrscheinlich sind die frühen chinesischen und mittelmeerischen Formen der Spaghetti alles isolierte Entwicklungen gewesen. Was aber ausschlaggebend ist: Die Spaghetti haben ihren eigentlichen Siegeszug um die Welt weder in China, noch in Griechenland, noch im alten Rom und auch nicht in Arabien, sondern in Neapel begonnen!
Und nun zum Ragù alla bolognese
Das Ragù alla bolognese stammt aus der Provinz Emilia Romagna und wie der Name leicht verrät, aus der Stadt Bologna. Es war ganz ursprünglich ein Schmorgericht ganz ohne Teigwaren und stammte aus der Zeit um 1600 oder etwas früher. Ab dieser Zeit traten die Tomaten ihren Siegeszug in Italien an und halfen mit, aus dem ursprünglich braunen Ragù ein rotes zu machen. Das Wort Ragù leitet sich vom französischen Wort Ragoût ab. Das entsprechende Tätigkeitswort heisst ragoûter und bedeutet wörtlich, den Gaumen reizen. Gemeint ist damit stets ein Gericht mit zerkleinerten Fleischstücken, welches in seinem eigenen Saft schmort. Allein schon die Bezeichnung Ragù klärt damit eine andere, oft gestellte Frage, ob man für diese Sauce grob- oder feingehacktes Fleisch verwenden soll: Es sollte eher grob gehackt sein!
Seit etwa dem Jahr 1800 wurde es in Italien als Beilage zu Fettucine, Pappardelle oder Tagliatelle serviert. Es war allerdings kein Alltagsgericht, denn es brauchte viel Aufwand, um das Fleisch zu zerkleinern, da es damals noch keine Fleischwölfe gab. Auch die Herstellung der Nudeln war eine ziemlich zeitraubende Sache, sodass es sich nur die bessergestellten Leute leisten konnten. Erst mit der beginnenden Industrialisierung zwischen 1850 und 1900, als es immer einfacher wurde, lagerfähige Teigwaren herzustellen, wurden Nudelgerichte preisgünstiger und damit für jedermann erschwinglich.
Heute ist das Ragù alla bolognese weltweit bekannt und wird oft auch unter der französischen Bezeichnung als Sauce bolognaise angeboten. Ausser als Nudelbeilage findet man es heute auch in den Lasagne-Gerichten und als Füllung in den Cannelloni, den Ravioli und in den Tortellini. In den beiden zuletzt genannten allerdings nicht ausschliesslich. Da trifft man auch auf andere Füllungen, doch da die Tortellini ursprünglich aus Bologna stammen, dürfte die Originlfüllung das Ragù alla bolognese gewesen sein. Auch im griechischen Moussaka oder im rumänischen und moldawischen Musaca findet man dieses Ragù, wenn auch landestypisch etwas abgewandelt.
Zubereitet wird dieses Ragù aus Hackfleisch vom Rind, vom Kalb und vom Schwein, in der Regel gemischt. Unbedingt dazu gehören feingehackte Zwiebeln, Rüebli, Stangensellerie, Pancetta, Butter/Olivenöl, Wein, Wasser, Tomatenmark/Tomatenpüree. Fleischbrühe braucht es nur bei kurzer Kochzeit. Wird länger gekocht genügt Wasser. Gewürzt wird mit Salz und Pfeffer. Knoblauch, Lorbeer, Nelkenpulver und Muskatnuss werden im Originalrezept nicht erwähnt und sind auch nicht nötig. Zum Schluss wird noch Milch dazugegeben. Ein gutes Ragù alla bolognese sollte auf schwachem Feuer mindestens zwei Stunden, besser aber 4-5 Stunden garen bis es eingedickt ist. Es gibt zwar ein Ursprungsrezept, welches genau definiert, was ins offizielle Ragù alla bolognese gehört, doch trifft man heute kaum mehr auf diese strenge Anwendung. Der Koch will frei sein und kocht nach seiner eigenen Kunst oder eben mit dem, was der Vorratsschrank so hergibt oder nach persönlichen Vorlieben. Dennoch gilt das offizielle Rezept weiterhin als Grundlage. Sogenannte Originalgerichte sind in keiner Weise bindend, sie zeigen lediglich auf, wie es ganz am Anfang etwa zubereitet wurde.
Beispiel des offiziellen Ragù alla bolognese-Rezeptes
Zutaten für 6 Personen:
300 g Rindfleisch, grob gehackt 150 g ungeräuchter Frühstücksspeck 50 g Rüebli 50 g Sellerie (Stangensellerie) 50 g Zwiebeln 300 g passierte Tomaten ½ Glas weisser, trockener Wein ½ Glas Vollmilch wenig Bouillon Olivenöl oder Butter Salz Pfeffer ½ Glas Rahm (fakultativ, nur bei Fertigteigwaren nötig)
Dieses offizielle Rezept wurde allerdings nicht im Jahre 1600, sondern erst am 17. Oktober 1982 durch die Accademia Italiana della Cucina bei der Handelskammer der Stadt Bologna deponiert. Es handelt sich um ein Rezept, welches von dortigen Spitzenköchen auf der Basis alter Dokumente rekonstruiert wurde und diese Dokumente reichten bis in die Zeit um 1600 zurück. Das merkt man auch daran, dass es doch recht beträchtlich von den heute zirkulierenden Rezepten abweicht. Das Nachkochen dieses Rezeptes hat diese Annahme dann auch bestätigt: Es schmeckt schon etwas anders, als was man gewohnt ist. Wie man sieht, sind da weder Hühnerleber noch Knoblauch, Pilze, Peperoni, Peperoncini und irgendwelche Kräuter oder weitere Gewürze dabei, welche heute gerne als typische Grundzutaten genannt werden. Doch wie gesagt, das ist 'nur' das nachträglich zurechtgemachte offizielle Rezept für den Puristen. Es gibt Köche, die sagen, das obige Rezept dürfe man auch als Grundrezept verstehen und jeder Koch sei frei, sein Ragù alla bolognese noch weiter zu ergänzen oder zu ändern, so wie er es am liebsten mag, die guten Köche sind ja Kunsthandwerker und es gebührt ihnen die künstlerische Freiheit. Dogmatisch sollte man also nicht sein, sonst erstickt die Kunst.
Jene Köchin, welche beim Bau des neuen 57 km langen Gotthardtunnels die meist italienischen Tunnelbauarbeiter in der Kantine beim Zwischenabschnitt Sedrun GR bekochte, benützte ein Rezept, welches dem obigen recht nahe kam, mit durchschlagendem Erfolg übrigens. Über sie wurde in den Medien mehrfach berichtet. Die Tunnelbauarbeiter wurden somit erklassig verköstigt, eben original italienisch. Als die Köchin gefragt wurde, warum sie für das Ragù alla bolognese Weisswein nehme, antwortete sie: "Damit die Sauce rot bleibt und nicht bräunlich wird. Das Auge isst bekanntlich mit und bevorzugt eben helles rot." Dennoch gibt es Köche, welche den Rotwein bevorzugen, da er mehr Aroma bringt.
Bei der Frage, ob man nun Butter oder Olivenöl benützen soll, lautet die salomonische Antwort: Beides! Im Norden Italiens kocht man eher mit Butter, im Süden eher mit Olivenöl, doch ist der Übergang sehr fliessend und Bologna liegt ziemlich genau an dieser Grenze. Man sagt, es sei der Apennin, der die Trennlinie bilde. Das soll man aber nicht allzu wörtlich nehmen. Es gibt in Taranto Liebhaber, die Butter benützen und in Brixen/Bressanone solche die Olivenöl bevorzugen.
Gibt es das echte, einzig wahre Ragù alle bolognese?
Unter diesem Titel findet man im Internet zahlreiche verschiedene Rezepte, die alle eine persönliche Variante darstellen, aber immerhin recht nahe beim offiziellen Rezept liegen. Man kann es einer berühmten Köchin aus Bologna nicht verargen, wenn sie in einem Beitrag zu ihrem eigenen, einzig wahren Ragù alle bolognese sagt: Man muss Butter nehmen, denn Olivenöl versaut mit seinem starken Geschmack das Aroma dieser Sauce. Sie hat Recht, aber es ist natürlich ihre ganz persönliche Auffassung, weil sie es so empfindet. Auch ich kenne Leute in meinem Umfeld, die Lamm, Olivenöl oder Knoblauch nicht mögen, weil sie es so empfinden. Es gibt das einzig wahre Ragù alla bolognese gar nicht, sondern lediglich das weiter oben erwähnte Grundrezept der Accademia Italiana della Cucina aus dem Jahre 1982. Ich halte es so, dass ich jenes Ragù alla bolognese der Puristen gar nie koche. Für meine Bologneser Sauce benütze ich daher die Bezeichnung Sugo alla bolognese.
Beispiel eines Sugo alla bolognese-Rezeptes
Zutaten für 4 Personen:
70 g Pancetta oder Guanciale 250 g Schweinsgehacktes 150 g Rindsgehacktes 100 g Luganighe (Tessiner Schweinsbratwurst), zerzupft 1 grosse Zwiebel 1 Knoblauchzehe 1 Rüebli 2 Scheiben Sellerie 400 g geschälte Tomaten (Pelati) aus der Büchse 2.5 dl Weisswein 2.5 dl Fleischbrühe 40 g Olivenöl extravergine 25 Blätter Basilikum 1 TL Rosmarin 50 g Butter Salz weisser Pfeffer
Und zuletzt noch zu den Spaghetti alla bolognese
Spaghetti alla bolognese sind eigentlich nur nördlich der Alpen und nur ausserhalb Italiens eine geläufige Kombination von Spaghetti mit Ragù alla bolognese. Diese Kombination ist in Italien gänzlich unüblich, allerdings nicht aus kulinarischen, sondern aus rein praktischen und auch ein wenig aus historischen Gründen. Das gröbere Ragù klebt nicht so gut an den Spaghetti, weil diese dafür zu dünn sind. Daher pflegt man dieses Ragù in Italien nur mit den breiteren Nudeln zu kombinieren, wo dieses Problem nicht auftritt. Für Spaghetti nimmt der Italiener lieber eine feinere, sämige Sauce.
Allerdings: Durch genügend langes Köcheln und Eindicken des Ragùs löst sich im Laufe der Stunden die Gelatine aus dem Fleisch und macht die Sauce ebenfalls sämig. Und viele italienische Spaghettihersteller verstehen es heute, ihren Spaghetti eine etwas rauhere Oberfläche zu verpassen. Daher ist es durchaus möglich, dass ein genügend lang geschmortes Ragù auch an den Spaghetti oder noch besser an den dickeren Spaghettoni einigermassen kleben bleibt. So jedenfalls bei mir. Ich bin in Zürich aufgewachsen und kann mich zurück bis etwa 1950 an die Spaghetti alla bolognese erinnern. Sowohl meine Mutter und auch die Grossmutter kochten dieses Gericht. Es gehört für mich zu den Urerlebnissen beim Essen und wird von mir so weiter gepflegt, auch wenn das nicht italienischer Gepflogenheit entspricht. Ich bin es einfach so gewohnt.
Die traditionsbewussten Italiener bleiben aber dabei: Spaghetti und Ragù alla bolognese gehören nicht zusammen. Für sie gilt die Regel: Eher grob gestückelte Saucen gehören an breite Nudeln, eher sämige, feinere Saucen gehören an schmale Nudeln. Mit den sämigen, feineren Saucen sind aber nicht etwa dünne Saucen gemeint. Der Italiener will, dass alle Saucen zu Teigwaren soweit eingedickt sind, dass sie an ihnen kleben bleiben. "Pfützen im Teller mag ich nicht", meinte einer der es wissen musste, nämlich derimzwischen verstorbene Antonio Carluccio, ein bekannter italienischer Kochbuchautor. Dass das Ragù alla bolognese vorzugsweise mit Tagliatelle zubereitet wird, könnte auch noch damit zusammenhängen, dass die Tagliatelle ebenfalls aus Bologna stammen. Und weil Bologna eines der kulinarischen Zentren in dieser Provinz ist, hat Bologna eben schon vor langer Zeit bestimmt, was zusammen gehört und was nicht.
Wer kam auf die Idee der Spaghetti alla bolognese?
Sicher ist, dass dies ausserhalb Italiens geschah und wohl in Unkenntnis der oben beschrieben Gründe. Im Verdacht stehen die Schweiz, Deutschland, Luxemburg, Liechtenstein, Österreich und allenfalls noch das Elsass. Wikipedia meint, dass es sogar aus den USA stammen könnte, doch das nur so nebenbei. Es waren vermutlich einheimische, mitteleuropäische Köche und nicht italienische, welche auf die Idee kamen, das Ragù alla bolognese und die Spaghetti zu kombinieren. Die italienischen Gastarbeiter brachten die beiden Errungenschaften ihrer Küche in die deutschsprachigen Länder. Und es gab diese Gastarbeiter seit der Zeit um 1850 in allen fünf oder sechs Ländern. Frühestens zwischen 1850 und 1900 ist daher das 'Erfindungsjahr' anzusetzen. Bis jetzt ist es mir noch nicht gelungen herauszufinden, in welchem der fraglichen Länder die Spaghetti alla bolognese zuerst gekocht wurden, sodass auch die von Wikipedia erwähnten USA noch dazu gezählt werden müssen.
Quellen: - OGS-eigene - Wikipedia unter Ragù alla bolognese - Irina Marinescu in http://www.littlejamie.com/kurze-geschichte-der-pasta-oder-warum-es-keine-spaghetti-bolognese-gibt/ - «Viva la pasta», Heyne Verlag, Antonio Carluccio, 1994, Seite 21 (Pfützen im Teller mochte er nicht) - www.accademiaitalianacucina.it/it/content/rag%C3%B9-alla-bolognese - www.mein-italien.info/essen-und-trinken/spaghetti-bolognese.htm