OGS Seebach - Beitrag

Hertensteinstrasse
Verkehrswege – Strasse – aktuell
Der Name ist offiziell. Neuer Name des südlichen Teils der alten Rümlangstrasse von der Birchstrasse zur Seebacherstrasse seit 30.9.1949. Die Abtrennung von der alten Rümlangstrasse war erforderlich, weil die neu erstellte Birchstrasse zu zwei unzweckmässigen, sehr spitzen Einmündungen der alten Rümlangstrasse geführt hätte. Also verlegte man den nördlichen Teil dieser Strasse so, dass er rechtwinklig in die Birchstrasse mündete. Die Hertensteinstrasse war noch bis in die 1960er Jahre hinein mit Psetzisteinen gepflastert. Sie ist übrigens nichts weniger als ein Teil einer uralten Römerstrasse, welche von Seebach nach Rümlang führte, allerdings war es keine Heeresstrasse, sondern ursprünglich vermutlich ein alter Keltenweg. Aber sie wurde immerhin von den Römern etwas ausgebaut. Mehr dazu unter dem Beitrag Römische Bauten und Artefakte in Seebach.

Nach vollendeter Abtrennung von der Rümlangstrasse war man sich in der Stadt einig, dass der südliche Rest der Strasse umzubenennen sei. Bei der Wahl eines neues Namens wurden auch Lenggstrasse und Püntenstrasse in Betracht gezogen, doch schieden diese aus, weil es dafür bereits andernorts in der Stadt solche Strassennamen gab. Das Bebauungs- und Quartierplanbüro schlug dann Hüttenrain-, Dielsdorf-, Gubrist-, Karl-Spitteler- und Jonas-Furrer-Strasse vor. Das Polizeiinspektorat und die Einwohnerkontrolle schlugen ihrerseits Hüttenrainstrasse vor, doch erhoben sich dagegen Vorbehalte seitens der Anwohner, die meinten, dass Hüttenrainstrasse, obwohl geschichtlich gut fundiert, einen gewissen Beigeschmack hätte. Welcher Art denn dieser Geschmack war, verschweigen die Quellen.

Das Stadtarchiv empfahl daraufhin den Namen Jonas-Furrer-Strasse und falls die relativ kurze Strasse für den Jonas Furrer etwas zu bescheiden sei, so könne man ja auch den Namen eines anderen Zürcher Bundesrates oder gar derjenige eines altansässigen Seebacher Geschlechtes nehmen. Dabei erinnerte das Stadtarchiv an die Namen Brogli, Gossweiler oder Sieber und wies auch auf den Zürcher Bundesrat W. F. Hertenstein hin. Man war dann der Meinung, dass eine Brogli-, Gossweiler- oder Sieberstrasse nicht so gut in das Bild der übrigen Strassennamen passe wie etwa eine Hertensteinstrasse. So entschied dann die Strassenbenennungskommission von Zürich am 30. September 1949, dass die Strasse inskünftig Hertensteinstrasse heissen solle. Gleichzeitig wurde auch beschlossen, dass die verbleibende «alte Rümlangstrasse» in Rümlangstrasse umzubenennen sei. Es dauerte dann noch bis 1957, bis die letzten alten Strassenschilder verschwanden.

Jedermann fragt sich nun, wer denn dieser Wilhelm Friedrich Hertenstein gewesen sei. Nun, seine Wiege stand im zürcherischen Kyburg, wo er am 5. März 1825 zur Welt kam. Er besuchte die Dorfschule von Kyburg und danach die Industrieschule in Zürich. Als Sohn eines Forstmeisters und Enkel eines Försters war es keine Frage, dass er eine forstmännische Laufbahn einzuschlagen habe. Er besuchte die Forstschulen von Hohenheim und Tharandt (D) und erwarb sich im Jahre 1847 das Patent eines Forstmeisters. Von 1855 bis 1872 diente er als kantonaler Kantonsforstmeister in Fehraltorf. Ab 1858 bis 1872 war er Kantonsrat der FDP. Im Sonderbundskrieg war er Artillerieleutnant und im Sommer 1861 führte er als Major zwei Batterien Gebirgsartillerie über den Forcellinapass, was ein Meisterstück gewesen sein soll. 1872 wurde er Regierungsrat von Zürich, wo er von 1872 bis 1875 Militärdirektor, von 1875 bis 1877 Baudirektor und ab 1877 bis 1879 erneut Militärdirektor war. 1872 wurde er zugleich auch noch in den Nationalrat gewählt und im Militär zum Obersten befördert. Von 1875 bis 1877 war er Kommandant der 7. Artilleriebrigade und allgemein beliebt.

1878 wurde er Ständerat, am 21.3.1879 Bundesrat und 1888 Bundespräsident. Er leitete wegen seiner militärischen Kompetenz fast logischerweise das Militärdepartement, wo er den verstorbenen Johann Jakob Scherer ersetzte. Er machte sich einen Namen, indem er die neue Militärordnung durchsetzte, sein Departement streng und sparsam führte und mit dafür verantwortlich war, dass das Militär bei Volk und Räten hohes Ansehen und Vertrauen erlangte. Auch seine Anstrengungen für die Verbesserung der Ausrüstung und Verpflegung der Wehrmänner setzte er erfolgreich durch. Eine Beinamputation verlief dann leider sehr unglücklich und führte am 27. November 1888 zu seinem Tod. Aufgrund seines Hinschiedes im Amte ist er der bisher einzige Bundespräsident, der seine Amtszeit nicht regulär beendete. Seine Beisetzung fand landesweit ein grosses Echo und war eine Demonstration von nationaler Geschlossenheit.

Heute ist Bundesrat Wilhelm Hertenstein in Seebach weitgehend unbekannt. Er hat nie hier gewohnt oder sich längere Zeit aufgehalten, doch dafür konnte er wirklich nichts, denn als die Strasse seinen Namen bekam, war er bereits seit 61 Jahren verstorben und gefragt hat man ihn nicht, ob er in einem einfachen Zürcher Aussenquartier eine Bsetzisteinstrasse nach seinem Namen benannt haben wollte. Er galt nämlich schon zu Lebzeiten als einfacher Mensch, dem staatsmännisches Gehabe völlig fremd war. Vielleicht passt aber gerade deshalb die schlichte Strasse doch gut zu ihm. Immerhin war er ein Zürcher und zwar ein sehr verdienter. Insofern darf Seebach an der Hertensteinstrasse ihre Freude haben.

Anstatt die Strasse nach einem Bundesrät zu benennen, hätte es auch noch die Option gegeben, beim neuen Strassenamen einen engeren Bezug zur alten Sennerei herzustellen, indem man sie zum Beispiel «Milchstrasse» hätte nennen können! Mit einer Milchstrasse wäre Seebach im deutschsprachigen Raum wohl viel berühmter geworden als es heute ist. Die Bezeichnung ist nicht etwa an den Haaren herbei gezogen, denn es kam nicht nur einmal vor, dass dort jemand Milch verschüttetet oder dass einem Buben der Milchkessel vom Velopackträger fiel und die Strasse verschüttete. Der Begriff Milchstrasse geht auf den Bauern Jakob Heider zurück, welcher sich gerne amüsiert darüber äusserte, wenn wieder einmal ein Bub seinen Milchkessel verschüttete. Nicht mehr bekannt ist allerdings, ob es noch Jakob Heider I oder schon Jakob Heider II war. Das Übel ist auch mir widerfahren und ich habe später den hämischen Spruch von der Milchstrasse auch gehört.

Dass der Name der Strasse heute so gut recherchiert ist, ist das Verdienst des Seebachers Heinz Billeter, damals Vorstandsmitglied des Quartiervereins Seebach, welcher sich in den 1970er Jahren die Mühe nahm und die Gründe der Benennung der Strasse nach Bundesrat Hertenstein minutiös abklärte und in «der Vorstadt» veröffentlichte.

Eine weitere Beobachtung der OGS ist die, dass etliche Bewohner der Hertensteinstrasse ihre Anschrift nicht mit Hertensteinstrasse angaben, sondern kurz: 'im Hertenstein'! Das war eine uralte bäuerliche Gewohnheit aus der Zeit, als es in Seebach noch üblich war, seine Adresse mit 'im Eggbühl', 'im Sperlet', 'im Hüttenrain', 'zum Apollo', 'zum Frohsinn', 'im Ausserdorf', 'zum Neubühl', 'zur Binzmühle', 'zum Felsenberg', 'zur Sonne', 'zum Nationalhof' usw. anzugeben. Dass Jakob Heider II sich noch strikt an diese Regel hielt, beweist ein Fotoumschlag von Nicca + Huber, wo als Adresse 'Hertenstein' steht. Siehe dazu das erste Bild unter Nicca, P.!

Im Baugeschichtlichen Archiv Zürich gibt es von den älteren Häusern an dieser Strasse noch zahlreiche Fotos. Wer sich dafür interessiert, findet unter BAZ alle nötigen Hinweise, wo genau man diese Fotos ansehen und sich davon allenfalls Kopien anfertigen kann.

Quellen:
- Strassenschild
- Strassennamenbuch der Stadt Zürich
- Vorstadt-Artikel in den 1970er-Jahren (?) von Heinz Billeter (liegt der OGS als Fotokopie vor)
- Historisches Lexikon der Schweiz, Band 6, 2007, 320
- OGS-eigene
- Rösli Stüber-Rigert
- Franklin Fehr
- Elfriede Lercher (Fotos)
- Jakob Heider II (Fotos)
- Baugeschichtliches Archiv Zürich (Fotokopie)

Hertensteinstrasse (1947)

Wie man deutlich sieht, ist die Strasse noch mit Bsetzisteinen gepflastert.

Hertensteinstrasse (1947)

Von seiner Wiese auf dem Chilerain aus fotografierte Jakob Heider auch den erst im Rohbau fertigen Wohnblock der BGZ. Gegenüber die damalige Bäckerei Raduner.

Hertensteinstrasse (1947)

Die damals noch schmalere Hertensteinstrasse mit dem Bsetzisteinbelag. Auf dem Bild zu erkennen ist ausserdem ein Fiat 500 Topolino.

Hertensteinstrasse (1950)

Am Anfang der Hertensteinstrasse stand die Sennerei Seebach. Zum Zeitpunkt der Aufnahme um etwa 1950 war hier noch Ferdinand Buchmann der Inhaber der Sennerei.

Hertensteinstrasse (1952)

Im Hintergrund die Bäckerei Wettstein, vormals Raduner, nachmals Hippin. Die Kinder an der Rossanbinde heissen Margrit und Marianne Kläy. Noch im gleichen Jahr geschah beim Turnen ein Unfall, bei dem Margrit verletzt wurde.

Hertensteinstrasse (1965)

Der Abbruch des Restaurants Falken. Hier steht noch ein letzter Rest des Falkensaales.

Hertensteinstrasse (1968)

Die Telefonzentrale im Bau. Hier eine Foto vom März 1968.

Hertensteinstrasse (1968)

Hier sieht man die Telefonzentrale im Jun 1968.

Hertensteinstrasse (1978)

Das Bauernwohnhaus von Theodor Egli.

Hertensteinstrasse (1978)

Das Wohnhaus neben dem Bauernwohnhaus Egli gehörte ebenfalls diesem Bauern. Beide Häuser wurden zeitgleich abgetragen.

Hertensteinstrasse (1978)

Das alte Bauernwohnhaus des Theodor Egli kurz vor dem Abbruch. Bereits ist das Baugespann zu erkennen.

Hertensteinstrasse (1989)

Frühlingsblust an der Hertensteinstrasse. Ganz unten links sieht man das Bauernwohnhaus von Jakob Heider.

Hertensteinstrasse (2002)

Blick hinunter zum Bauernwohnhaus von Jakob Heider II. Wie man hier gut erkennen kann, wurde der Bsetzisteinbelag schon vor geraumer Zeit durch einen Teerbelag ersetzt.

Hertensteinstrasse (2003)

Das Strassenschild an der ehemaligen Sennerei Seebach.

Hertensteinstrasse (2003)

In Bildmitte die Telefonzentrale und ganz rechts das Bauernwohnhaus von Jakob Heider.

Hertensteinstrasse (2003)

Wohnbauten auf dem Areal von Theodor Egli. Ganz rechts aussen stand sein früheres Bauernwohnhaus bis 1979.

Hertensteinstrasse (2005)

Ein Block mit Alterswohnungen.

Hertensteinstrasse (2006)

Rechts die Bauten des Gemeinschaftszentrums.

Hertensteinstrasse (2006)

Blick Richtung Ausserdorfhögerli.

Hertensteinstrasse (2009)

So präsentiert sich der Neubau der Mobimo an der Hertensteinstrasse. Rechts das alte Bauernhaus der Heiders, in Bildmitte die Garageneinfahrt zum neuen Wohnblock und ganz links die Telefonzentrale.

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