Der Leukoplastbomber aus dem Jahr 1950 erscheint in der OGS aus dem gleichen Grunde, wie alle anderen Kleinstwagen: Sie waren einmal Teil des Dorfbildes und weil Seebach seit langem ein Quartier der Arbeiter und kleinen Angestellten war, waren diese Wägelchen hier etwas verbreiteter als anderswo.
Leukoplastbomber war der Übername für ein unglaublich kleines, pummeliges deutsches Arme-Leute-Auto der Firma Lloyd Maschinenfabrik GmbH, welches eine Karosserie hatte, die vollständig aus verklebtem Sperrholz (!) bestand und seit den frühen 1950er Jahren unter der Bezeichnung LP300 produziert wurde. Das Auto erreichte mit dem winzigen Motörchen mit gerade mal 293 cm³ Hubraum kaum 75 km/h und tuckerte beim Fahren ganz lieblich und sorglos vor sich hin, begleitet von einem kleinen blauen Räuchlein, welches anhand seines verströmten Aromas jedem Fussgänger sofort vermittelte, ob der Fahrer seinem Wägelchen ein anständiges Schmieröl oder eher ein billiges gönnte.
Die Fabrik wurde 1949 von Carl F. W. Borgward in Bremen gegründet und war anfänglich eng mit der Firma Goliath liiert, teilten sie sich doch beim Produktionsstart die Fabrikhallen! Das kleine Fabriklein hatte ein Startkapital von gerade mal DM 100.000.-- (!), welches dann auf DM 800'000.-- anstieg, als man 1950 die Produktion des Lloyd LP300 aufnahm. Das Motörchen wies viele Merkmale des Vorkriegs-DKWs auf, weil Lloyd die Entwicklung des Motors auswärts vergab, wobei eine Firma zum Zuge kam, welche ein paar 'Kraftdenker' aus der früheren DKW-Welt beschäftigte.
Zum Auto selbst: Die Sitzposition der Insassen wirkte irgendwie gebogen und ineinander verschränkt, doch war das vermutlich nur eine Annahme, welche beim Zuschauer entstand. Und für genügend Zuschauer musste sich das Auto nicht besonders anstrengen. Die kamen sofort und umlagerten den Boliden, sobald einer am Strassenrand stand. Diskutiert wurde dann unter den Leuten meist die unglaubliche Kleinheit des Wagens, die Ungeräumigkeit der Fahrgastkabine, die Kleinheit des Kofferraums, die geballte Kraft des Motors, die Dreigangschaltung usw. Man sprach sozusagen Lloydlatein.
Am lustigsten war es, den Fahrgästen beim Einsteigen zuzuschauen. Es dauerte immer ein Weilchen, bis sie alle ihre Beine und Arme sortiert hatten. Beim Aussteigen war es ähnlich, denn die Fahrgäste brauchten dann etwas Zeit, um sich zu entfalten. Besonders spannend war es, wenn noch Gepäck oder ein Kleinkind mit im Wagen war. Da staunten die Buben, wenn zwischen den Fahrgästen wie aus Zauberhand noch ein Wickelkind hervorquoll. Fahrten mit solchen vollbesetzten Autos waren sicher nicht besonders gesund, weil sie zu Muskelstarre oder Verkrampfung führen konnten.
Immerhin muss man dem Wägelchen zu Gute halten, dass es dem einfachen Speditionsangestellten die Möglichkeit verschaffte, auch mal nach Oberglatt ans Pistenende des Flughafens Kloten zu fahren und den Flugzeugen beim Starten und Landen zuzuschauen, in welchen Leute sassen, die das notwendige Kleingeld besassen, fliegenderweise nach London und zurück zu reisen und die sich auch einen ganz leicht grösseren Wagen leisten konnten.
In Seebach gab es, soweit die OGS den Überblick über das Quartier hatte, mindestens zwei stolze Besitzer des Lloyd LP300. Von diesen beiden wohnte der eine in der Gegend um die Rümlangstrasse und der andere im Schönauring. Es könnten aber noch mehr gewesen sein, da die OGS nur selten im Gebiet Friesstrasse, Eggbühl, Kleinbühl usw. verkehrte. Der Fahrer von der Rümlangstrasse war dunkelhaarig, schlank und gross (!) und er war verheiratet und hatte drei kleine Kinder, welche «bequem» auf der hinteren Sitzbank Platz fanden.