Das Schulsingen wurde schon 1874 eingeführt, exakt 80 Jahre bevor ich begann, meinen eigenen gesanglichen Beitrag hinzu zu steuern. An der Lautstärke meiner Darbietungen hat es nie gemangelt, doch waren meine künstlerischen Möglichkeiten von Anfang an nicht besonders gefragt. Bei Leuten mit Musikgehör waren sie sogar derart ungefragt, dass ich diese Stunde bald einmal frei bekam, da es des Lehrers Ohr einfach nicht ertragen konnte, wenn der liebliche und reine Glockenklang der Mädchen- und Bubenstimmen durch Dissonanzen eines gesanglichen Analphabeten gestört wurden.
Da die Singstunde zumeist in der letzten Vormittagsstunde angesetzt war, bedeutete dies für mich eine verlängerte Mittagspause. Den Eltern war das aber suspekt und sie verdächtigten mich, dass ich mir besonders viel Mühe gegeben hätte, falsch zu singen. Sie hatten nicht ganz unrecht. Das lag allerdings nicht nur an meinen Stimmbändern, sondern auch daran, dass Emil Krönert beim Singen jeden falschen Ton, der knapp über der Hörschwelle lag, sofort herausfilterte und dann, während gesungen wurde, durch die Reihen ging und den Störenfried lokalisierte, zumeist in Form meiner Person. Dann hiess es, die Tonleiter vorzusingen und sich vor der ganzen Klasse zu blamieren. Das war wiederum etwas, was ich nicht ertragen konnte und so ergab es sich eben, dass die Dispensation für beide Seiten ihr Gutes hatte. Es hat auch später noch zahlreiche Menschen geschaudert, wenn meine Stimme zum Gesange anhub. Singen war einfach nicht mein Gebiet.
Auch spätere Lehrer, wie etwa Sekundarlehrer Jakob Keller hatten das zweifelhafte Vergnügen, mir Singunterricht erteilen zu müssen. Dabei kam erleichternd hinzu, dass mittlerweile schon eine ganze Reihe von Buben den Stimmbruch hatten, sodass ich nicht mehr der einzige war, welcher störte. Einmal stellte auch Jakob Keller fest, dass meiner Kehle aussergewöhnlich eigenartige Töne entschwebten und er kam mit seiner Stimmgabel auf den Ã?beltäter zu und gab einen Ton an, doch auch er konnte mit den hervorgebrachten Geräuschen nichts anfangen und meinte nur, bei mir läge es nicht nur am Stimmbruch, sondern auch daran, dass ich kein Musikgehör hätte. So bekam ich während dem Singen das Recht, leise mit zu möhnen, um weniger aufzufallen.
Das mit dem Musikgehör war natürlich eine Ã?bertreibung. Selbstverständlich habe ich ein Musikgehör, nur funktioniert es bei der Beherrschung der eigenen Stimme nicht. Beim Zuhören, wenn andere singen, höre ich bestens, wenn es scherbelt.